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Standardgrau und Flugtraum und Traumhintergrund

    

Standardgrau und Flugtraum und Traumhintergrund

Die Normierung und Standardisierung sichtbarer Wirklichkeit durch die Fotografie geschieht auch nach Maßgabe des bewältigbaren
Kontrastumfangs von fotografischen Materialien.
Dieses Vermögen, das, je weiter sich die Fotochemie zu entwickeln scheint, paradoxerweise immer mehr schrumpft, ist in der
Regel bei fotografischen Materialien wesentlich geringer als das, was die Natur an Hell-Dunkel-Unterschieden zu bieten hat.
Als "Maß aller Dinge", wie der Kammerton "A" als Referenzwert in der Musik, als allgemeiner Bezugspunkt für die Wiedergabe der
Welt in Grautönen, steht das Standard-Grau mit exakt 18% Reflexion.
Dieser Helligkeitswert ist der mathematische Mittelwert einer geometrischen Reihe von "Schwarz" nach "Weiß": und alle
Belichtungsmesser sind darauf geeicht, dieses Neutralgrau im Positiv zu reproduzieren.

Analog der Linearisierung der Zeit und der Einteilung der Welt in Zeitzonen, ordnet die Fotografie alles Sichtbare nach dem
Zonensystem (11 Zonen) , in dessen Mitte das Standard-Grau als Zone 5 definiert, liegt und dessen Eckpunkte "Tiefschwarz"
als Zone 0 und "Papierweiß" als Zone 10 bilden.

Mit der Wahl der "Richtzone", also jeder beliebigen, einheitlichen, definierten Helligkeit, die dann mit Zone 5 belegt wird und in
deren Abhängigkeit sich alle anderen im Verhältnis der reflektierten Lichtmenge abbilden, wird entscheiden darüber, was zur
"Auflösung" im "Papierweiß", oder zum "Untergang" im "satten Schwarz" verdammt ist.

Die Umsetzung von Farben in der Schwarz-Weiß-Fotografie in mehr oder weniger differenzierte Grautöne geschieht in Abhängigkeit
von den jeweiligen Reflektionseigenschaften derselben, sowie der Farbsensibilisierung der Emulsion des Aufnahmematerials.


Flugtraum und Traumhintergrund

Darauf, dass "Standard-Grau" nicht nur im Zonensystem als Mitte, in der Schwarz und Weiß aufgehoben und versöhnt sind,
sozusagen Ausdruck vollkommener Harmonie ist, stößt man auch im Zusammenhang mit dem "subjektiven Augen-Grau",
dem endoptischen Phänomen aus der physiologischen Optik, aus dem sich u. a. das frühe Glück jener "freundlichen Weiten"
zu erklären scheint.

Michael Balint schreibt in "Angstlust und Regression: "Wenn man die Augen schließt, empfindet man etwas grob halbkugeliges,
das einen sicher umgibt und dessen Farbe grau ist, wenn die auf das Augelid fallende Lichtmenge gering, und rosa ist, wenn die
Lichtquelle stärker ist.
Dieses subjektive Augengrau und Augenrot (…) befindet sich in einiger Distanz von uns, es ist aber unmöglich, mit Sicherheit
festzustellen, ob es außer uns oder in uns ist, oder auch nur, ob es näher oder weiter weg ist als irgendein gegebenes Objekt."

Die frühe Erfahrung dieses leeren, oder aber auch total angefüllten (Augen-) Raumes unterstützt im psychoanalytischen Diskurs
Balints zur Untersuchung gestörter Objektbeziehungen die Aussagen über regressive Tendenzen, als deren Ziel er die Herstellung
einer verlogenen gegangenen Existenzform nennt, deren Harmonie durch die noch nicht vollzogene Trennung in Subjekt // Objekt
noch ungestört war.

Aus dem thrill / der Angstlust beim Aufgeben und Wiedererlangen von mehr oder weniger existenzieller Sicherheit als treibendem
Moment erklärt sich für Balint das Glück des Geschwindigkeitsrausches, als einer Möglichkeit zur begrenzten Regression auf
diese frühe Existenzform.
Das Glück einer Reise als solcher scheint nicht mehr im Erreichen eines bestimmten Zieles zu liegen, sondern in der
Reise-um-der-Reise-willlen, darin, sich mit den objektlosen Weiten eins zu fühlen..
Im Schwindel, der uns den Boden unter den Füßen zu entziehen scheint, uns taumeln lässt, unsere Sinne berauscht, betäubt,
irritiert, scheint die klare Trennung von "Innen" und "Außen" aufgehoben, die festen Grenzen des Individuums aufgelöst und für
einen Moment in den Zustand einer Harmonie überführt.

Die Vergnügungsmaschinen (Karussells etc.) geben uns die Möglichkeit, im erwachsenen Leben das große traumatische Erlebnis
des Gleichgewichtsverlusts, des Von-unseren-Objekten-Fallengelassenwerdens, der Desorientierung in der Welt in erträglichem
Ausmaß zu wiederholen.
Dieser Harmonie versucht sich auch der (evtl. reisende) Fotograf zu versichern, wenn auch mit anderen Mitteln:
Er glaubt den Dingen nahe sein zu können, seine Harmonie vertiefen zu können, ohne die sichere Distanz aufgeben zu müssen.


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